Ach, denken wir, was war das für eine schöne und ruhige Zeit früher: keine nervigen Weihnachtsmärkte, kein ewiges „Djingle Bells“-Gedudel und keine seichten und gefühlsquälenden Weihnachtsfilme mit sicherem Happy End auf allen Kanälen und bei den Streamingdiensten…
…aber das dürfte eine idyllisierende Verklärung sein, denn im Dezember 1924 lag der 1. Weltkrieg erst fünf Jahre zurück, die Arbeitszeiten bedeuteten, dass auch am Heiligen Abend bis mittags gearbeitet wurde. Positiv allerdings nach ausgestandener Inflation: „Durch den Dawes-Plan flossen nun Kredite nach Deutschland. Das bedeutete wirtschaftlichen Aufschwung (1.). Die Arbeitslosigkeit hatte zum Herbst hin deutlich abgenommen, die Löhne stiegen.“ Anders als heute gab’s sogar auf der politischen Bühne am 7. Dezember 1924 in Berlin Positives zu vermelden: „Die beruhigte innen- und außenpolitische Situation macht sich auch bei der Reichstagswahl bemerkbar. Die gemäßigten bürgerlichen Parteien und vor allem die SPD können einen deutlichen Stimmenzuwachs verzeichnen. Die radikalen Parteien verlieren deutlich an Stimmenanteilen.“
Schade, dass das schon 100 Jahre her ist….
Kein Wunder, dass die Menschen wieder reisten, um ihre Lieben zu besuchen: die Reichsbahn funktionierte blendend und Geld war auch wieder vorhanden, wenn auch nicht bei allen.


Also nicht erstaunlich, dass so viele gut gekleidete Damen und Herren die Bahnsteige unserer kleinen Bahnstation bevölkerten – mit Koffern, Kind und Kegel….

…wobei der Kegel bei diesen entzückenden Damen ein kleines, feines weißes Hündchen ist, der natürlich auch mit muss – erster Klasse übrigens, mit Sitzplatzanspruch, darauf haben Kunigunde und Klothilde bestanden!
Unruhig wartet der Bahnhofsvorsteher Josef G. auf den D-Zug, der noch schnell einige gut betuchte Geschäftsreisende zum Weihnachtsurlaub ins wärmere Italien befördern wird, Triest ist angesagt!

Und pünktlich rauscht der D-Zug mit vorgespannter bayerischer Lok auf Gleis eins ein, so dass unsere Passagiere sich schon bald in den Salonwagen begeben können.




Für die lange Fahrt wird die bayerische P 3/5 noch mit Wasser versorgt – bis die 18 Kubikmeter Wasser im Tender sind, dauert’s halt etwas länger. Unsere beiden grauen Reichsbahner lassen sich nicht unter Zeitdruck setzen – sie sind froh, diesen Beruf zu haben als Teil von fast einer Million Menschen, die die Reichsbahn in den 20ern beschäftigt.

Interessiert schaut der kleine Knut der fauchenden Lok auf ihrem Weg zum Wasserkran hinterher und hält sich sicherheitshalber an seinem Schaukelpferd fest, ohne das er nie auf Reisen geht.

Ob er auch mal zur Seite schaut und des Zeitungsjungen angesichtig wird, der das magere Einkommen seiner Familie mit dem Zeitungsverkauf aufstocken muss?

Heutige Schlagzeile der Berliner Börsen Zeitung „In Berlin wird die erste Funkausstellung von Reichspräsident Friedrich Ebert eröffnet“.

Von einem Besuch der Funkausstellung in Berlin können diese drei ehemaligen Lokschlosser nur träumen: selbst mit ihrem Anspruch auf ermäßigte Fahrkarten können sich die Reichsbahnrentner einen Aufenthalt in Berlin nicht leisten – und vom Hotel Adlon zu träumen bleibt nur das: ein Traum, den sich wenige andere verwirklichen können, zum Beispiel die Industriellenwitwe von Schieferstein, die sich von ihrem Chauffeur zum Bahnhof bringen lässt, wobei sich ihr Fahrer natürlich auch mit ihren vielen Koffern abschleppen muss.

Die Koffer werden gleich auf der Gepäckkarre verschwinden, so dass die Grande Dame sehr beschwingt in der Polsterklasse verschwinden kann.

Nicht ganz so gut geht es der Mutter des Zeitungsjungen. Der wurden gerade die Einkellerungskartoffeln geliefert, wobei es allerdings ein kleines Maleur gab, als die Pferde zu ruckartig weiterlaufen wollten, so dass ihr die Kartoffeln vor die Füße fielen. Da wird der Junge, wenn er seine Zeitungen auf dem Bahnsteig losgeworden ist, noch einiges an Arbeit vor sich haben – und das immer im dunklen, feuchten Keller des Arbeiterhauses neben dem Bahnhof, den er so sehr fürchtet.

Was seine Mutter noch nicht weiß: Der eingeplante Weihnachtsbraten ist gerade hinter ihr im Garten von Reineke Fuchs zum Essen eingeladen worden und Opas Lieblingsbeschäftigung, am Heiligen Abend stundenlang die Knochen der Gans abzuknabbern, kann in diesem Jahr leider auch nicht ausgeübt werden, seufz.

Kurz vor Abfahrt des D-Zuges nach Triest wird’s am Eingang zum Bahnsteig unruhig, denn der Oberreallehrer Knusenwang strauchelt beim Versuch, den Zug noch hurtig zu erreichen. Seine Gattin Hermine, vom Gemahl immer wieder mit Besuchen von Shakespeare-Stücken im lokalen Theater gequält, ruft ihm hämisch zu: „Those stumble that run fast!“. Das aber hört er vor lauter Aufregung (zum Glück) nicht.

Hoffen wir mal, dass alle Reisende ihre Ziele und Familien oder Urlaubsorte gut und pünktlich erreichen und sich keinem Stress aussetzen müssen.
Das wünschen wir uns doch einfach auch 100 Jahre später und nehmen uns diesen Herren auf einer Bahnhofsbank zum Vorbild, der sich durch nichts beirren lässt und stoisch im soeben erschienen Roman „Der Zauberberg“ von Thomas Mann liest…..

In diesem Sinne sei eine ruhige, entspannte und genussvolle Weihnachtszeit gewünscht – mit Zeit für Modellbahn & Modellbau.
Quellen:
https://www.weimarer-republik.net/themenportal/chronik-1918-bis-1933/1924/dezember-1924/
https://www.dhm.de/lemo/jahreschronik/1924
zu 1.)
Oberregierungsrat Schilling machte hierauf entsprechende Vorschläge.
Der Reichsarbeitsminister betonte, daß der Handwerker in Mitteldeutschland bei zehnstündiger Arbeitszeit etwa 4,70 Mark pro Tag verdiene. Dieser Betrag setze sich wie folgt zusammen: Stundenlohn 43 Pfg., Deputat 2 Pfg., für Frau und Kind 2 Pfg., ergibt: 47 Pfg. pro Stunde.
Der Eisenbahner erhalte etwa 4,59 Mark pro Tag bei geringerer Arbeitszeit. Ein Reparaturhauer an der Ruhr erhalte ebenfalls nur 4,70 Mark. Im Frieden hätten sich die Löhne der Eisenbahner durchweg unter dem Niveau der Privatindustrie bewegt. Nunmehr würden sie der Privatindustrie nicht nur angeglichen, sondern sie gingen sogar zum Teil darüber hinaus.
https://www.bundesarchiv.de/aktenreichskanzlei/1919-1933/0pa/ma1/ma11p/kap1_2/kap2_166/index.html
Die Brotpreise und Kosten des Lebensbedarfs in Berlin im Jahre 1924: https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/jbnst-1925-0108/pdf