Those were the days……

Völli unschuldige Szene auf der Modellbahnanlage: Juni 1963, Staatsbesuch (offiziell Arbeitsbesuch) des jungen amerikanischen Präsidenten John F. Kennedy beim deutschen Bundeskanzler Konrad Adenauer, eigentlich noch ein Vertreter der wilhelminischen Zeiten und nicht mehr lange in seinem Amt. Höchstwahrscheinlich beide auf dem Weg zu einem Sonderzug-Salonwagen (in dem schon Goebbels saß), um aus der Provinz wieder nach Bonn zu gelangen. Der Jubel der Deutschen muss unbeschreiblich gewesen sein, wenn man den offiziellen Quellen folgt und sich den sehenswerten Wochenschau-Bericht ansieht, Kennedy-Rufe aus Hundertausenden Kehlen….

>> https://www.konrad-adenauer.de/politikfelder/seite/kennedy-besuch-in-west-berlin/

Und heute? Welch grausame Vorstellung, dass der Orangeman, dessen Namen ich nicht in den Mund nehmen möchte (Gruß an Axel Hacke) auf Kennedys Spuren in Berlin, Köln oder wo auch immer auftritt.

1963 war die Kuba-Krise vorbei und Deutschland ging’s recht gut, auch wenn das Adenauer Deutschland nicht gerade progressiv war, das änderte sich erste durch die -fast- Lichtgestalt des noch Berliner Bürgermeisters Willy Brandt, den man im Wochenschau Bericht sehr schön als Vorwegnahme eines anderen politischen Windes in Deutschland schon erahnen kann, auch gerade neben der amerikanischen Lichtgestalt Kennedy.

Das hat wohl auch was mit mir zu tun. Beim „Staatsbesuch“ 1963 war ich fast 11 Jahre alt und unmündiger leidender Schüler der Realschule Stade (mit 34 Jungen in einer Klasse). Dennoch schrieb ich 5 Monate später anlässlich des Attentats auf Kennedy auf die letzte Seite des Dierke-Weltatlanten: „“22. November 1963 Attentat auf John F. Kennedy in Dallas, Kennedy ist tot“.

Da muss doch etwas im Kopf des Unmündigen (bis zum Ende der Realschulzeit war ich eine Amöbe!) vorgegangen sein – und eine dezente amerikanische Prägung kann nicht verleugnet werden, schließlich war zu dem Zeitpunkt die älteste Schwester als Aupair für zwei Jahre in Bloomington/Indiana und zu Weihnachten gab’s einen Football-Spieler, der mich ebenso begeistert hat wie eine ebenfalls zu Weihnachten aus den USA erhaltene Armbanduhr mit silbernem Metallarmband, die sich durch die Armbewegungen automatisch aufzog, wow! Meine Schwester hatte sie im Swimming Pool gefunden….

Einige Jahre später, 1968, hatte sich die Realschule erledigt und der vermeintliche Ernst des Lebens begann, Lehre bei den Justizbehörden in Stade, toll, unter den Talaren war er noch vorhanden, der muffige Stillstand, jeder höhere Beamte musste mit seinem Titel angeredet werden („Guten Morgen, Herr Erster Oberstaatsanwalt“), der Amöben-Zustand endete durch Augen öffnende Lektüre von Grass‘ „Blechtrommel“, einem Newsweek-Abo und dem Kommentar zum Vietnam-Krieg auf der Schultertasche („Killing for peace is like fucking for virginity“). Und glücklicherweise wurde unser Land liberaler durch die Große Koalition und die neu geschaffenen Möglichkeiten des zweiten Bildungsweges und des Bafögs, also Abendschule, Abi, Studium u.a. möglich. Da dachten wir noch, wir seien die erste Generation, die (trotz des Kalten Krieges) nur Friedenszeiten (zumindest in West-Europa) erleben durften.

Zu Weihnachten 2025 sind die Gedanken schwärzer geworden – „the times they are a changin“ mit Gruß and Bob Dylan.

Aurich, 20. Dezember 2025

Weihnachten 1963 – noch im Amöbenzustand

2021: https://anlagensoftware.blog/2021/12/23/driving-home-for-christmas/

2024: Weihnachten vor 100 Jahren: https://anlagensoftware.blog/2024/12/19/23-dezember-1924/

23. Dezember 1924

Ach, denken wir, was war das für eine schöne und ruhige Zeit früher: keine nervigen Weihnachtsmärkte, kein ewiges „Djingle Bells“-Gedudel und keine seichten und gefühlsquälenden Weihnachtsfilme mit sicherem Happy End auf allen Kanälen und bei den Streamingdiensten…

…aber das dürfte eine idyllisierende Verklärung sein, denn im Dezember 1924 lag der 1. Weltkrieg erst fünf Jahre zurück, die Arbeitszeiten bedeuteten, dass auch am Heiligen Abend bis mittags gearbeitet wurde. Positiv allerdings nach ausgestandener Inflation: „Durch den Dawes-Plan flossen nun Kredite nach Deutschland. Das bedeutete wirtschaftlichen Aufschwung (1.). Die Arbeitslosigkeit hatte zum Herbst hin deutlich abgenommen, die Löhne stiegen.“ Anders als heute gab’s sogar auf der politischen Bühne am 7. Dezember 1924 in Berlin Positives zu vermelden: „Die beruhigte innen- und außenpolitische Situation macht sich auch bei der Reichstagswahl bemerkbar. Die gemäßigten bürgerlichen Parteien und vor allem die SPD können einen deutlichen Stimmenzuwachs verzeichnen. Die radikalen Parteien verlieren deutlich an Stimmenanteilen.“

Schade, dass das schon 100 Jahre her ist….

Kein Wunder, dass die Menschen wieder reisten, um ihre Lieben zu besuchen: die Reichsbahn funktionierte blendend und Geld war auch wieder vorhanden, wenn auch nicht bei allen.

Also nicht erstaunlich, dass so viele gut gekleidete Damen und Herren die Bahnsteige unserer kleinen Bahnstation bevölkerten – mit Koffern, Kind und Kegel….

…wobei der Kegel bei diesen entzückenden Damen ein kleines, feines weißes Hündchen ist, der natürlich auch mit muss – erster Klasse übrigens, mit Sitzplatzanspruch, darauf haben Kunigunde und Klothilde bestanden!

Unruhig wartet der Bahnhofsvorsteher Josef G. auf den D-Zug, der noch schnell einige gut betuchte Geschäftsreisende zum Weihnachtsurlaub ins wärmere Italien befördern wird, Triest ist angesagt!

Und pünktlich rauscht der D-Zug mit vorgespannter bayerischer Lok auf Gleis eins ein, so dass unsere Passagiere sich schon bald in den Salonwagen begeben können.

Für die lange Fahrt wird die bayerische P 3/5 noch mit Wasser versorgt – bis die 18 Kubikmeter Wasser im Tender sind, dauert’s halt etwas länger. Unsere beiden grauen Reichsbahner lassen sich nicht unter Zeitdruck setzen – sie sind froh, diesen Beruf zu haben als Teil von fast einer Million Menschen, die die Reichsbahn in den 20ern beschäftigt.

Interessiert schaut der kleine Knut der fauchenden Lok auf ihrem Weg zum Wasserkran hinterher und hält sich sicherheitshalber an seinem Schaukelpferd fest, ohne das er nie auf Reisen geht.

Ob er auch mal zur Seite schaut und des Zeitungsjungen angesichtig wird, der das magere Einkommen seiner Familie mit dem Zeitungsverkauf aufstocken muss?

Heutige Schlagzeile der Berliner Börsen Zeitung „In Berlin wird die erste Funkausstellung von Reichspräsident Friedrich Ebert eröffnet“.

Von einem Besuch der Funkausstellung in Berlin können diese drei ehemaligen Lokschlosser nur träumen: selbst mit ihrem Anspruch auf ermäßigte Fahrkarten können sich die Reichsbahnrentner einen Aufenthalt in Berlin nicht leisten – und vom Hotel Adlon zu träumen bleibt nur das: ein Traum, den sich wenige andere verwirklichen können, zum Beispiel die Industriellenwitwe von Schieferstein, die sich von ihrem Chauffeur zum Bahnhof bringen lässt, wobei sich ihr Fahrer natürlich auch mit ihren vielen Koffern abschleppen muss.

Die Koffer werden gleich auf der Gepäckkarre verschwinden, so dass die Grande Dame sehr beschwingt in der Polsterklasse verschwinden kann.

Nicht ganz so gut geht es der Mutter des Zeitungsjungen. Der wurden gerade die Einkellerungskartoffeln geliefert, wobei es allerdings ein kleines Maleur gab, als die Pferde zu ruckartig weiterlaufen wollten, so dass ihr die Kartoffeln vor die Füße fielen. Da wird der Junge, wenn er seine Zeitungen auf dem Bahnsteig losgeworden ist, noch einiges an Arbeit vor sich haben – und das immer im dunklen, feuchten Keller des Arbeiterhauses neben dem Bahnhof, den er so sehr fürchtet.

Was seine Mutter noch nicht weiß: Der eingeplante Weihnachtsbraten ist gerade hinter ihr im Garten von Reineke Fuchs zum Essen eingeladen worden und Opas Lieblingsbeschäftigung, am Heiligen Abend stundenlang die Knochen der Gans abzuknabbern, kann in diesem Jahr leider auch nicht ausgeübt werden, seufz.

Kurz vor Abfahrt des D-Zuges nach Triest wird’s am Eingang zum Bahnsteig unruhig, denn der Oberreallehrer Knusenwang strauchelt beim Versuch, den Zug noch hurtig zu erreichen. Seine Gattin Hermine, vom Gemahl immer wieder mit Besuchen von Shakespeare-Stücken im lokalen Theater gequält, ruft ihm hämisch zu: „Those stumble that run fast!“. Das aber hört er vor lauter Aufregung (zum Glück) nicht.

Hoffen wir mal, dass alle Reisende ihre Ziele und Familien oder Urlaubsorte gut und pünktlich erreichen und sich keinem Stress aussetzen müssen.

Das wünschen wir uns doch einfach auch 100 Jahre später und nehmen uns diesen Herren auf einer Bahnhofsbank zum Vorbild, der sich durch nichts beirren lässt und stoisch im soeben erschienen Roman „Der Zauberberg“ von Thomas Mann liest…..

In diesem Sinne sei eine ruhige, entspannte und genussvolle Weihnachtszeit gewünscht – mit Zeit für Modellbahn & Modellbau.

Quellen:

https://www.weimarer-republik.net/themenportal/chronik-1918-bis-1933/1924/dezember-1924/

https://www.dhm.de/lemo/jahreschronik/1924

zu 1.)

Oberregierungsrat Schilling machte hierauf entsprechende Vorschläge.

Der Reichsarbeitsminister betonte, daß der Handwerker in Mitteldeutschland bei zehnstündiger Arbeitszeit etwa 4,70 Mark pro Tag verdiene. Dieser Betrag setze sich wie folgt zusammen: Stundenlohn 43 Pfg., Deputat 2 Pfg., für Frau und Kind 2 Pfg., ergibt: 47 Pfg. pro Stunde.

Der Eisenbahner erhalte etwa 4,59 Mark pro Tag bei geringerer Arbeitszeit. Ein Reparaturhauer an der Ruhr erhalte ebenfalls nur 4,70 Mark. Im Frieden hätten sich die Löhne der Eisenbahner durchweg unter dem Niveau der Privatindustrie bewegt. Nunmehr würden sie der Privatindustrie nicht nur angeglichen, sondern sie gingen sogar zum Teil darüber hinaus.

https://www.bundesarchiv.de/aktenreichskanzlei/1919-1933/0pa/ma1/ma11p/kap1_2/kap2_166/index.html

Die Brotpreise und Kosten des Lebensbedarfs in Berlin im Jahre 1924: https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/jbnst-1925-0108/pdf

Nun wird’s Weihnachten

Weihnachtszeit, ruhige und besinnliche Zeit, aber vorher ist viel Bewegung gefordert: von einem Ort zum anderen, um die Familienmitglieder auch alle unter dem Weihnachtsbaum anzutreffen. Per Bahn, zu Fuß, mit dem Auto oder dem Fahrrad – viele Räder müssen sich drehen, bevor es zu ruhigen und besinnlichen Stunden kommen kann.
Und dann ist da ja auch noch das leibliche Wohl! Leckeres Essen will zubereitet werden, einige Hühner, Gänse und Schweine müssen ihr Leben lassen, damit Leckermäuler gestopft werden können, Brot und Kuchen bringen den Backofen zum Glühen, Brennmaterial in Form von Torf muss herangeschafft werden und letzte Aktivitäten finden noch auf dem Feld und landwirtschaftlichen Anwesen statt. Wenn alles geschafft ist, kehrt Ruhe ein – da bewegen sich keine Räder mehr, die Straßen haben sich geleert und Kerzenlicht wirft gemütliche Lichtpunkte aus den Fenstern, hinter denen man fröhliches Kindergejauchze und weihnachtliche Lieder hören kann, wenn man durch die still gewordenen Straßen bummelt.

Schleusenwärter und Kleinbahn-Agent Josef wartet auf seine Weihnachtsbesucher und präsentiert stolz seine neueste Erwerbung (gab ja etwas Weihnachtsgeld vom König): einen Opel-Zweisitzer, damit er mit seiner Frau Helga auch mal schöne Ausflüge machen kann.

Käpt’n Kalle und sein Bootsmann Hinnerk sind ebenfalls auf dem Weg nach Hause, nur noch kurz durch die Schleuse und dann in den Hafen und Richtung heimatlichem Tannenbaum.

Bei Fieten Stelling schmort sien Wiefke (seine Frau) den Grünkohl schon seit einer Stunde, aber die Zeit will genutzt werden, um den abgeernteten Acker noch eben zu Ende zu pflügen. Gleich fertig – und der Magen knurrt schon.

Hinter ihm am Hafengleis warten Oma Trientje und Opa Knut auf ihr Enkelkind, denn Lütt Anna hatte so lange Schule in der Stadt, aber nun freut sie sich auf alles, was bald kommt, vor allem natürlich auf die Geschenke….

…aber zum Glück weiß sie, dass sie nicht einfach abspringen darf, bevor Jan Klein stille steht, sie hatte schon einige Male Ärger mit Lokführer Heinz B. Dabei kann sie es kaum noch aushalten mit der Warterei.

Am Gütergleis steht die Rollfuhrspedition aus dem Nachbarland, um die letzte Ladung noch fix zu den Bestellern nach Hause zu bringen. Wer weiß, womöglich sind noch wichtige Geschenke drin (vielleicht für Lütt Anna?)!

Auf dem Weg ins Dorf gibt’s dann noch eine kleine Überraschung, denn vorm Bahnhof hat sich ein Flashmob gebildet, der unter der Leitung des begnadeten Musikers A.D.U. weihnachtliche Lieder schmettert, um auf das große Fest einzustimmen – in jahreszeitlich gewagter Kleidung, aber nu, kann ja jede(r) tragen, was er/sie/es will…

Auf dem Hof am Eingang des Dorfe lockt Anni Schuldt ihre hoch geschätzten Hühner mit Futter an. Eines wird sie sich wohl gleich greifen, denn so eine frische Hühnersuppe vor dem festtäglichen Gericht ist doch unbedingt was Feines!

Ihr Mann Kalli ist mit Walli, dem Jüngsten, am Schweinekoben und kann sich nicht entscheiden, ob’s Spanferkel geben soll oder ob er doch noch ins Kühlhaus radeln muss, um vor Wochen eingefrorene Koteletts zu holen – Anni hat ihm gar nichts Genaues über ihre Kochpläne gesagt.

Altenteiler Johann war noch eben im Torfwerk hinten an der Schleuse – Nachschub für die Öfen holen, denn der Backofen zum Beispiel wurde schon vor Stunden angeheizt. Wer will denn schon auf leckeren Stuten und frisches Schwarzbrot verzichten?

Der Backofen ist gleich heiss genug und wenn er endlich ausgeräumt werden kann, kriegt auch Hofhund Harras was Leckeres ab.

Kaum wird’s dunkel, streben auch die letzten Dorfbewohnerinnen nach Hause und wollen endlich die Kerzen anzünden…

…und es wird gemütlich in den Küchen und Stuben, die nun gemütlich vom Kerzenlicht erleuchtet sind. Na denn, MOI WIEHNACHTEN!